Kanada 1993                  Rücksturz ins Jahr 2006

 

So, dies war nun meine erste Berührung mit dem Land, in das mein Patenonkel kurz nach meiner Geburt abhaute (kein Scherz, ich glaube allerdings nicht, dass er wegen mir geflüchtet ist) Jedenfalls setzte ich am 8. Mai 1993 zum ersten Mal meinen Fuß auf den Boden des Flughafen in Vancouver, trieb mich einen Tag in der Stadt rum und machte mich dann ans Werk. Die blaue Linie nebenan schreitet so in etwa die entsprechende Route ab, endet allerdings vorzeitig; denn der Rest bis Jasper und durch die Rocky Mountains ist identisch mit der Strecke von 2006 und wird da äußerst genussreich wiederholt. Der blaue Ausreißer bei Quesnel markiert den Abstecher in Richtung Bowron Lake National Park, den ich dann doch leider nicht ganz erreichte - macht nix, die Fahrt war ne Wucht. Let's go!

 

1. Vancouver - Squamish

Am Morgen gibt's kostenlose Dusche, leider außerhalb des Hotels und von weit oben. Die ersten KM fahre ich im nahegelegenen Stanley-Park, die grüne Oase der Stadt. Behaglich taste ich mich durch bis zur Brücke, die auf das "Festland" von North Vancouver führt, weg vom Mündungsdelta des Frazer River, der die Innenstadt umarmt. Dort tobt der Verkehr dicht, reichlich und schnell an dem schmalen, kombinierten Fuß/Fahrradweg an mir vorbei, so dass ich nach ein paar Metern Nerven zeige und lieber schiebe. Doch dafür hat der Regen aufgehört, und so kann ich am Ende der architektonischen Schmalspurverdrahtung unbeschwert losstrampeln.. Es geht es hinunter auf die sogenannte "Scenic Route", die leider nicht nur ich zu schätzen weiß - man liegt immerhin noch im Einzugsgebiet von Vancouver. In der Folge geht es, immer reichlich rauf und runter, immer Richtung Norden. Nach etwa 15 KM kommt von rechts die Hauptstrecke anmarschiert, mir bleibt nichts übrig, als sie zu nutzen. Also, von wegen einsames Kanada, hier fliegt die Kuh! Doch es gibt nur diese eine Straße, und das für die nächsten Tage. Dabei ist die Strecke durchaus reizvoll, zur Linken öffnen sich immer wieder wunderbare Aussichten auf die weißbemützten Berge von Vancouver Island. Je weiter ich auf die nördlichen Regionen zukrieche, desto erträglicher wird allerdings der Verkehr.

 

 

1. Vancouver - Squamish

In der Folge geht es, immer reichlich rauf und runter, immer Richtung Norden. Nach etwa 15 KM kommt von rechts die Hauptstrecke anmarschiert, mir bleibt nichts übrig, als sie zu nutzen. Also, von wegen einsames Kanada, hier fliegt die Kuh! Doch es gibt nur diese eine Straße, und das für die nächsten Tage. Dabei ist die Strecke durchaus reizvoll, zur Linken öffnen sich immer wieder wunderbare Aussichten auf die weißbemützten Berge von Vancouver Island. Je weiter ich auf die nördlichen Regionen zukrieche, desto erträglicher wird allerdings der Verkehr.

 

2. Squamish - Whistler

Nach einer undramatischen, aber ruhigen Nacht auf einem für Fahrradfahrer gerade in richtiger Entfernung von Vancouver gelegenem Zeltplatz erfahre ich dann, warum der Highway 99 den Untertitel "Sea to Sky"trägt: Die Berge warten!

 

2. Squamish - Whistler

Fahrrad, 20 Kilogramm Ausrüstung und vor allen Dingen ein paar überflüssige Pfunde, die ein fauler Winter zu Hause so mit sich bringt, lassen mich die große gelbe Scheibe, die ich am Morgen noch so freundlich begrüßt habe, jetzt weniger segensreich bedenken, auch wenn die herrliche Szenerie der Coast Mountains mich durchaus entschädigt. Gegen 16.00 Uhr erreiche ich endlich Whistler, klar, weiter geht's heute nicht mehr. Dieser recht mondände Skiort könnte auch gut in der Schweiz liegen mit seinen Mini-Siedlungen und dem Zentrum, dem es an nichts fehlt - es sei denn, man sucht nach Häusern, die älter sind als man selbst. Auch ein erstklassiger Zeltplatz ist nicht weit. An der Rezeption erwartet mich eine äußerst freundliche Dame - und die erste Warnung vor Bären: "Sie brauchen nur ein bisschen Schinken auslegen, wenn Sie Wert auf Besuch legen!"...  und dann gibt es da noch real existierende Flora, die im Laufe des Abends versucht, aus mir ein weitgehend blutleeres Gebilde zu machen. Wenn ich mal ausnahmsweise auf der Gewinnerseite stehe und einen Moskito für seinen falsch orientierten Appetit strafe, bleibt ein respektabler Blutfleck zurück, der mir zeigt, dass die Ernte heute Abend nicht von dem mit den schlagkräftigsten Argumenten eingefahren wird ...

 

 

3. Whistler - Passhöhe

Am nächste Tag erreiche ich gegen 12.00 Uhr und nach einigen Abfahrten Pemberton. Bananen und Coke ist angesagt, natürlich zwei Liter Trinkwasser - der Tag hält, was mir gestern versprochen wurde, 30 Grad im Schatten sind's jetzt schon (und den werde ich nicht kriegen!). Bei einem kleinen woher/wohin - Geplänkel draußen vor der Tür des Supermarktes entpuppt sich mein Gesprächspartner als Deutscher, der seit 1957 hier lebt. Auch er kommt gleich auf Bären zu sprechen - haben die hier eigentlich kein anderes Thema?! So, genug geschwatzt, weiter geht's. Zunächst ein paar einfache KM weiter östlich, dann wartet nach ungewohnt ebener Strecke die erste Schotterstraße auf mich. Auch das stellt kein Riesenproblem für meinen schwarzen Gefährten und mich dar, doch muss ich feststellen, dass ich lieber bei Teer bleibe - und sei es nur deshalb, weil man hier alle paar KM anhalten muss, um Mund und Augen vom Staub zu säubern, den die vorbei fahrenden PKW's - und erst recht die Trucks - auf einen schleudern. Doch die Aussicht ist niedlich und findet ihr Finale im wunderbar gelegenen Lilloet-See. Bei dem endet auch der Schotter und beginnt die Pein, etwa 13 KM nicht unter 12 % Steigung warten auf mich. Die Nachmittagssonne powert wie verrückt und ich komme aus dem letzten Ritzel nicht mehr heraus.

 

3. Whistler - Passhöhe

Bald hat es sich eingependelt: Die nächste Ecke anpeilen, sich hochquälen, dort anhalten, Schluck Wasser, verschnaufen. Die erste Flasche hält nicht lange, ich tanke in den zahllosen Quellen nach, die munter neben mir herunterblubbern. Zwischendurch klatsche ich das Hemd kurzentschlossen in den Bach, ziehe es mir nass über, um mir Erleichterung zu verschaffen - dagegen waren die Schweizer Pässe ein Kinderspiel, da konnte ich wenigstens noch fahren, hier bin ich nur am ackern! Drei, vier Stunden halte ich das durch, dann kommt die weiße Flagge. Ich habe gerade noch Kraft, einen geeigneten Platz zu suchen, wasche mich, so gut es geht, in einem der Bäche und führe in der Folge einen hektischen Kampf mit den ortsansässigen Moskitos, die in mir eine passende Gelegenheit finden, ihre Fastenzeit zu beenden. 

 

4. Passhöhe - Lilloet

Die Nacht wird mir lang, aufgrund der doch etwas merkwürdigen Situation - jederzeit von der Straße aus zu sehen, dieses mistige Bären-Gequatsche - schlafe ich schlecht bzw. lange nicht ein.

Doch jede Nacht vergeht, am Morgen fühle ich mich genug ausgeruht, um mit dem Hochschubsen weiterzumachen. Einige Schleifen weiter wird es zusehends flacher, zuerst ungläubig, dann hoffend, am Schluß immens erleichtert strampele ich weiter in den Morgen hinein: Das war's, bis zum Duffey Lake, dem angeblich höchsten Punkt, geht es nur noch bergab. Dort ist die immer noch knallende Sonne bestimmt willkommen, im See schwimmen noch Eisstücke.

 

 

 

 

4. Passhöhe - Lilloet

Im weiteren Verlauf der Strecke gibt es trotz fallender Tendenz genug zu tun, es ist keine durchgängige Abfahrt, so manche Steigung legt sich mir noch in den Weg. Am frühen Nachmittag beginnt sich prompt der gestrige Tag bemerkbar zu machen, immer schwerer fallen mir selbst einfache Anstiege. Und dann kommt es, 20 KM vor dem Ziel warten einige dreizehnprozentige Gemeinheiten auf mich: Erster, zweiter, dann der finale Hügel - das Thermometer zeigt 40 Grad, es ist fast kein Wasser mehr da, auch keine Quelle am Wegesrand, immer kürzer werden die Pausen, in denen ich mich auf jeden verfügbaren Schatten stürze, der verfügbar ist; manchmal reicht es gerade dazu, den hochroten Kopf für ein paar wunderbare Minuten aus der Sonne herauszuhalten. Besonders der letzte Berg, in dem es nochmal rund 100 Höhenmeter hinauf geht, macht mich endgültig fertig; keine Übertreibung - es ist die Hölle!

 

5. Lilloet - 20-Mile-House

Zum Schluss lasse ich mich regelrecht nach Lilloet hineinfallen, verbringe dort erst einmal einen ausgedehnten und unendlich faulen Ruhetag, bevor ich wieder in eine Landschaft hineinradle, die auch in der Nähe von Avignon nicht weiter auffallen würde. Und wieder klettert die Strecke gut bergauf, doch im Vergleich zu den vergangenen Tagen gibt es kein größeres Problem. Es ist eine ruhige Fahrt, auch, was den Verkehr betrifft. Nach einigen kräftigen Steigungen folgt - endlich - ein reiner Genuß. Bis zum See im Marble Canyon Park ist die Strecke noch ausgeglichen, dort erwarten mich fantastische Ausblicke.

 

 

5. Lilloet - 20-Mile-House

Am Ende des Sees macht die Straße einen Knick nach links, fällt in der Folge gemächlich ab und ich durchfahre ein wunderbares Tal; es ist Vergnügen pur. Schneller als erwartet erreiche ich das Ende vom Highway 99, von nun an ist wieder reichlich vierrädriges zu sehen. Nach links wende ich mich, Richtung Clinton, zunächst bleibt der Weg weiter einfach. Doch als ich in einem Privathaushalt um Wasser bitte, meint der sehr freundliche Hausherr, bis zu dem Ort käme noch eine saftige Steigung. Als Ergebnis werde ich prompt schwach, als ein paar KM weiter 20-Mile-House auftaucht, eine zur Tankstelle umfunktionierte, ehemalige Poststation. Auf dem weitläufigen Grundstück lässt man mich das Zelt aufstellen, so ist ein luxuriöses Frühstück gesichert, es reicht am Abend sogar für einen Platz auf der Bank im Vorgarten.

 

6. 20-Mile-House - Horse Lake

Der nächste Tag bringt Clinton - gibt's nicht nur in den USA. Ich halte mich gerade mal die übliche Joghurteinheit lang auf, dann will ich sehen, was der Tag noch bringt. - Nun, zunächst noch eine kleine Steigung, doch dann wird es flach, fast langweilig. Die Aussicht reduziert sich auf viele Bäume links und rechts und öfter, als mir lieb ist, kommen noch einige Auspuffrohre hinzu. Nun, Fahrradtrekking muss nicht unbedingt etwas mit wildromantischen Ausblicken zu tun haben, es macht Spaß, so unbeschwert und flott das Asphaltband abzuspulen. Am 70-Mile-House (diese ganzen ...Mile... Dinger sind nach den Poststationen der Golddigger benannt) verlasse ich die Hauptstraße zugunsten einer Scenic Route. Sofort reduziert sich der Verkehr um 90 %, dafür gibt's jetzt Seen satt - besonders den Green Lake, ein ziemlich großes Exemplar mit jeder Menge glücklicher Anlieger und Zeltplätze. Es sind herrliche zwei Stunden, in denen ich regelrecht herumstromere. Der Tag endet standesgemäß mit einem zauberhaften Campingplatz am Bonanza Lake, mit allem, was dazu gehört (incl. Moskitos). Geführt wird er von einer Schweizer Familie, "nur so mal für drei Jahre". Bis auf die erwähnten Quälgeister ist es ein wunderbarer Abend, die Sonne gibt die obligatorische Abschiedsvorstellung im See und sieht mich dick vermummt am Ufer sitzen.

 

7. Horse Lake - Williams Lake

Auch die Nacht hat es in sich, früh morgens wache ich vom Geheul der Coyoten auf. Nach einer Weile habe ich mich dran gewöhnt und schlummere meinem üblich spätem Tagesbeginn entgegen. Der ist zunächst einfach genug, bis 100-Mile-House geht es fast nur bergab. Es geht weiter, immer Richtung Norden. Auch an diesem Tag habe ich eine recht kräftige Distanz vor mir, denn bis Williams Lake möchte ich doch ganz gerne kommen. Die Landschaft stellt sich mir dabei nicht in den Weg, meist geht es flach zu; wo ein Hügel ist, wird er natürlich umgehend in Angriff genommen. Die Hauptattraktion an diesem Nachmittag bildet der Lac La Hache, an dessen Ufer ich lange Zeit entlang fahre, allerdings immer auf der Hauptstraße. Zum Glück ist die hier nicht so stark belebt, wahrscheinlich drücken sich die feigen Typen nur vor der knallenden Sonne, die mich regelrecht austrocknet - merke: Wenn dir einfaches, lauwarmes Wasser aus einer Plastikflasche köstlich erscheint, solltest du dich mit dem Gedanken anfreunden, vielleicht ein kleines bisschen zuwenig getrunken zu haben .... Etwa 10 KM vor Williams Lake taucht vor mir ein Zeltplatzschild mit einem gemaltem Wigwamschild auf. Mitten in der finalen Abfahrt vor der Stadt liegt das Ding, also fast geschafft - hinein. Tatsächlich, der Laden wird ausschließlich von Indianern geführt. Die Moskitos sind hier besonders beißwütig, ich verziehe mich, sobald die Putz- und Flickstunde vorbei ist, ins Zelt. Ein Glück, dass ich nicht allzu groß bin ...

 

 

8. Williams Lake - Quesnel

Die ersten 50 KM verbringe ich auf einer Schotterstrecke, die hoch über dem Frazer River entlang führt und mich zum Schluß gut durchgerührt - und wegen der vielen Steigungen schon ziemlich geschafft - wieder auf der Hauptstraße abliefert. Natürlich ist es heiß, doch langsam macht sich auch bei mir ein gewisser Lerneffekt bemerkbar - ich sauge Wasser, soviel hineingeht, arrangiere mich mit meinen Restkräften: Ich will heute noch unbedingt Quesnel erreichen.

 

 

8. Williams Lake - Quesnel

Der Endspurt beginnt nach einer fiesen, langgezogenen Steigung, die von einem Store gekrönt wird. "28 Miles left" macht mir der Besitzer Mut, doch als ich die endlich um 20.15 Uhr hinter mir habe, kann mich wirklich niemand mehr motivieren, das Fahrrad am nächsten Tag auch nur anzusehen!

 

9. Quesnel - Wells

Ein bisschen schwer fällt es dann schon, wieder in Gang zu kommen, aber noch einen Tag hier würde ich garnicht aushalten. Vielmehr sollen die nächsten Tage einen Abstecher zum Bowron Lake National Park bringen. Kurz nach dem Ortsende bietet sich auch schon gleich die Straße nach Barkerville an. Die hält sich nicht lange mit irgend welchen Vorreden auf und sagt gleich: Hier gibt es Steigungen, noch und nöcher! Ich mache mich ans Werk. Ein, zwei, dreimal zweistellige Prozentzahlen - allmählich wird mir klar, dass mein Ziel oben in den Bergen liegt, also: Das wird den ganzen Tag so bleiben! Doch die Strecke ist schön, und nach den drei Eingangsschikanen kommen auch sanftere Teilstrecken. Nach 25 KM erreiche ich Cottonwood, eine alte Posthaltestelle, die man restauriert hat, gleich komplett mit entsprechend gekleideten "Angestellten"; doch es ist wirklich nett, keine Frage, ich wusele dort ein wenig herum. Wenig später treten mir tatsächlich Tränen in die Augen, aber nicht vor Anstrengung: Ein Tal öffnet sich, wie es herrlicher nicht sein kann, Raubvögel kreisen weit oben - die Seele wird so richtig durchgelüftet. Andächtig radele ich das Tal ab. Angenehm kühl ist es nach einem Gewitter in der Nacht geworden, doch die Sonne scheint - meistens.

 

 

10. Rundfahrt bei Wells

Als ich dann die Stadt in den Bergen erreiche, bevölkere ich ein kleines Hotel, stromere am folgenden Tag ein bisschen in dem nahegelegenen Freilichtmuseum herum, lasse es mir nochmal gut geh'n. Ich pedale ein bisserl Richtung Osten, will mir die bizarre Seen-Konstellation - ein Traum für Kanuten - ansehen, verfranse mich aber zwischendurch auf den Forstwegen, so dass ich am Nachmittag gut durchgerüttelt wieder in dem gemütlichen Hotel aufschlage - macht nix, war auch heute wieder Landschaft pur.

 

11. Wells - Hixon

Dann hat mich die Straße wieder, den Rückweg erlebe ich im übelsten Regen, der erst nach einigen Stunden Premierenvorstellung eine Ruhepause einlegt. Die Imprägnierung der Schuhe verliert den Kampf und ich meine warmen Füße. Auf der 97 angelangt, fahre ich erstmal ein wenig bergab - wäre ja ganz angenehm, doch bei der Geschwindigkeit schießen die Regentropfen wie Geschosse durch meine Schuhe und ins Gesicht. Doch dann habe ich Gelegenheit, mich aufzuwärmen, zwei langgezogene Steigungen kommen in dieser Beziehung garnicht ungelegen. Tja, so ist das eben mit dicken Wanderschuhen: Ebenso vehement, wie sie anfangs die Feuchtigkeit abwehren, sträuben sie sich nach erfolgter Kapitulation anschließend, die erworbene Wassermenge wieder zu verdunsten; manchmal wünsche ich mir Sandalen! Irgendwann, es kommt mir vor wie eine kleine Ewigkeit, erreiche ich trockenere Gefilde, wo ich die Füße aus ihrem Gefängnis hole. Ich merke, dass auch ein Schwund von Flüssigkeit erfrischen kann, als ich weiterfahre, weiter im Trockenen, weiter auf einfacher Strecke. Der Rest des Tages  ist typisch für die 97, viele Hügel, viel Wald. In Hixon kann ich dann frei wählen, je zwei Hotels und Campingplätze nennt man sein eigen - die Sonne strunzt, alles klar. Auf dem Platz ist die ganze Scala der Wohnmobile vertreten, einer hat sogar einen Truck als Zugmaschine; irgendwie habe ich die ganze Zeit drauf gewartet ...

 

12. Hixon - Prince George

Außer einem langgezogenen Anstieg am Anfang des Tages bietet die Strecke weder große Schwierigkeiten noch sonstige Überraschungen, doch es ist schön, in der klaren, sonnigen Atmosphäre zu radeln. 

Am frühen Nachmittag erreiche ich den nördlichsten Punkt meiner Reise, Prince George. Eigentlich wollte ich hier den Greyhound missbrauchen, und die Hüter des Busses wären mir ja gerne zu Diensten - vorausgesetzt, ich treibe eine große, stabile Kiste auf, um das Fahrrad zu verpacken ... wo, zum Teufel, soll ich die hernehmen?

 

 

13. Prince George - Dome Creek

Mangels Organisationstalent muss also rohe Kraft her, vor mir liegt eine lange Strecke ohne Versorgungsmöglichkeiten, und langweilig soll sie auch noch sein. Ich lasse es langsam angehen, um meine Kräfte nicht vorzeitig zu verbrauchen. Und dann - tja, was soll ich sagen, diese Strecke, von der mir so intensiv abgeraten wurde, sie erweist sich als reiner Genuss. Immer leichtes Auf und Ab, nie wird die Landschaft durch menschliche Behausungen gestört, und der Verkehr hält sich durchaus in Grenzen. Nur dann, wenn ich fotografieren will, tauchen die Dinger massenweise auf und stören meine Kreise. Allmählich rücken jede Menge Berge in mein Gesichtsfeld, lassen sich aber viel Zeit mit dem Näherkommen. Verzückt schaue ich immer wieder zur Seite, die Wiesen und Wälder sind urig und der Blick reicht weit. Ich kann mir vorstellen, dass es für Autofahrer tatsächlich langweilig sein könnte, doch für den Radfahrer mit seinem Minimalblick ist es ein Traum.

 

 

 

13. Prince George - Dome Creek

100 KM, 120, 140 - so langsam werde ich dann doch müde. Prompt kommt auch noch ein ziemlich gemeiner, wenn auch relativ kurzer Berg. Oben erwartet mich ein unerwarteter, herrlicher Anblick: Ein kleines Restaurant, 24 Stunden offen! Jede Menge Trucks lungern hier herum, offenbar ist das Ding bekannt. Und gerade dieser Umstand hilft enorm, denn nachdem ich heute meinen ersten Bären (!) am Straßenrand gesichtet (und ihn singenderweise vertrieben) hatte, fühlte ich mich garnicht wohl bei dem Gedanken, mich samt Zelt als gut verpackte Spielmasse im Gebüsch anzubieten. Nachdem ich endlich wieder in der Lage bin, Worte von mir zu geben, die nichts mit Nahrungsaufnahme zu tun haben, ist die Situation bald geklärt: Auf dem leicht verwilderten Parkplatz nebenan darf ich mein Zelt aufstellen, sogar vor Moskitos finde ich im Laufe des Abends Schutz, als ich noch auf ein paar Erfischungstropfen beim Wirt reinschaue.

 

14. Dome Cree - McBride

Die Nacht macht sich zuerst garnicht gut, die verdammten Truckdriver, die hier halten, hören ihren Karren offenbar unheimlich gerne: Die meisten lassen während ihrer Pause die Motoren laufen, was mich, nur ein paar Meter entfernt liegenden, Regenerationsbedürftigen natürlich ungeheuer entzückt. Doch gegen 1.00 Uhr - nein, schlafe ich nicht endlich ein, es scheint, als würde ich einfach bewußtlos, so abrupt haut mich mein kaputter Körper nieder. Gegen 7.00 Uhr knipst jemand das Licht wieder für mich an, ich fühle mich frisch wie nach 8 Stunden ungestörter Nachtruhe. Natürlich gibt's ein gutes Frühstück, dann muss ich nur noch beim Packen die Moskitos abwehren - so etwas geschieht üblicherweise durch wildes Herumgelaufe um den langsam schmelzenden Gepäckberg.Ich bin noch nicht lange unterwegs, als ich mich einem Wagen nähere, der, auf der Gegenseite geparkt, mich anblinkt. Vorsichtig taste ich mich heran: Dachte ich mir's doch, rechts, gerade mal 10 Meter von mir entfernt, beäugt Meister Petz gleich in doppelter Ausführung die Straße! Wie die berühmten Leute mit den Kissen im Fenster hocken die da, ein Bild, völlig frei von Aggressionen. Dieser unglaublich putzige Anblick brennt sich in meiner Erinnerung stärker ein als jedes Photo, zu dem ich leider nicht komme, denn als ich nach der Kamera krame, saust ein Truck heran und fegt die Beiden förmlich in den Wald hinein. So langsam dämmert mir, dass ich einige der Flüche gestern Nacht an die Adresse der Truckdriver besser als Danksagungen formuliert hätte ...

 

 

14. Dome Cree - McBride

Der Tag wird mir nicht leicht, die gestrige, lange Strecke mit fast 160 KM sitzt mir noch in den Knochen, von der Nacht nicht zu reden, die Knie fangen an, ihr Veto einzulegen. Ich beginne, den Bodensatz meiner körperlichen Reserven auszufegen, als sich die Schwierigkeiten langsam legen, und auch schon bald die Stadt in Sicht kommt. 

 

15. McBride - Mount Robson

Am Vorabend hat eines dieser sprichwörtlichen Gewitter die Luft gereinigt. Der Tag beginnt mit herrlichem Sonnenschein, der die aufregende Bergszenerie, die um mich herum immer höher wächst, gebührend ausleuchtet. Nach den Anstrengungen der letzten Tage bin ich eigentlich darauf gefasst, heute mehr mit mir als mit der Strecke kämpfen zu müssen, doch es geht wunderbar leicht; auch der Verkehr bleibt maßvoll, nur eine reichliche Menge Raupen fällt mir auf, die auf einem längeren Straßenabschnitt ihre Verpuppung riskieren; ein Rastplatz zwischendurch wimmelt nur so von ihnen.

 

15. McBride - Mount Robson

Nun erreiche ich endgültig den Haupteingang der kanadischen Rocky Mountains, um genauer zu sein, den Mount Robson Park. Noch immer ist keine kniezerfetzende Steigung in Sicht, dafür aber, im Schatten des gleichnamigen Berges, das Mount Robson Visitor Center. Das markiert dann auch gleichzeitig den Endpunkt der Etappe, doch noch nicht das Ende der heutigen Aktivitäten: Mal auf Schusters Rappen? Kein Problem, liegt doch einer der schönsten Trails Kanadas gleich in der Nähe. Nachdem ich mein Zelt auf einem Platz gleich neben dem üblichen Touristentrubel aufgestellt habe, erlebe ich einen wunderbaren Nachmittagsspaziergang hinauf zum Kinney Lake, fantastische 10 KM hin und zurück inklusive Andachtszigarette in der Abendsonne.

Tja, und der Rest? War auch schön, halt genauso wie 13 Jahre später ...

                                         Durchstarten nach 2006