Emails Kanada 2006

 

12.07.2006

Sitze hier, eine Woche nach Start, auf dem Zeltplatz der garnicht üblen Stadt Princeton und wollt mal von mir hören lassen. Flug ging glatt vom Flügel weg, nur ne halbe Stunde später (Ortszeit, gelle?) stand ich in Vancouver am Flughafen und machte mich auf die Suche nach dem Zeltplatz. Untypisch für mich, hab ich das Teil auch ohne größeren Umweg gefunden, aber es war von dermaßen viel Verkehr umlagert, dass ich dann doch lieber ins Hotel umstieg. Bin also dann 2 Tage (inkl. Ankunftstag) und rund 100 km in der Stadt hin und her gekreuzt, jetzt kenn ich sie wirklich gut ... Also, auf Richtung Westen. Die ersten 50 KM ganz übler, dreispuriger Verkehr, aber dann 100 km ein herrliches Fahren im Fraser Valley. Die Herrlichkeit ging dann in Hope zu Ende, und der Aufstieg zum Allison Pass (1.342 m) ging dann so richtig auf die Knochen. Hach, ich liebe die Alpenpässe in Europa, da weiß man: Draufsetzen, raufschrauben, Gipfelfeier, Abfahrt, Ankunft. Und hier? Mittendrin wieder 200 m runter, dann langgezogenes Finale inkl. übernachten auf Primitiv-Campingplatz, am nächsten Morgen dann runter ... rauf ... runter ... rauf - nächster Gipfel; hat mir vorher keiner gesagt, bäh. Bin also gestern gut durchgerührt in diesem Städtchen hier angekommen und vertreibe den heutigen Tag mit Regenerationsversuchen und mailen.

Tja, wie sagt man, und sonst? Eigentlich alles ok, Wetter, Leute, Laune (ja, ehrlich!). Bloß hab ich anlässlich des Gnadenhammers der vergangenen Tage noch mal die Karte gemustert und festgestellt, dass noch etliche Folterinstrumente dieser Art vor mir liegen, wenn ich die ursprünglich geplante Route nehme. Also schweift mein Blick Richtung Norden und was seh ich? Hey, bin ja gerade am Kreuzungspunkt meiner geplanten Alternativrouten! Also, frisch umgedacht, statt weiter nach Osten zu humpeln, werd ich die - übrigens auch verkehrstechnisch stärker belastete, als mir lieb ist - Strecke verlassen und die nördliche nehmen, also über Kamloops nach Jasper einfallen und dort wiederum Richtung Süden marschieren. Hat nicht nur konditionelle Gründe, hätt ich mir eigentlich auch zu Hause ausrechnen können, und ja, ich LIEBE gründliche Planung :-)

Hey, machts gut, ich werd mir hier noch nen gemütlichen Nachmittag gönnen, morgen gehts dann weiter mit den kanadischen Highways und deren Begleiterscheinungen ...

 

22.07.2006

Bin bei heißem Wetter (Gestern Abend 21.00 Uhr noch 30 Grad, auf 1.000 m Höhe) hier in Jasper eingetroffen und freue mich auf einige traumhafte Tage am nördlichen Ende des Icefield Parkways mit Wandern, ausruhen und leichtem Radeln hinaus zum herrlichen Maligne Lake. Die letzten Tage waren allerdings auch durchaus vorzeigbar, wie gesagt - es gab einige Argumente für das ändern der Route, und landschaftlich war’s ne 100% Steigerung. Natürlich auch nicht ganz einfach, aber erstaunlich; mittlerweile machen die Beinmuskeln tatsächlich ungefähr das, was ich von ihnen will :-) Gleichzeitig mit verlassen von British Columbia hab ich auch ne andere Zeitzone betreten, hui, ging eigentlich ganz fix. Also, liege gut im Plan, Psyche und Physis sind wohlauf, Erwartungen nach wie vor hoch und das Wetter: Besser gehts nicht (na gut, ein bisserl kühler wär ganz gut) In diese Sinne, Grüße nach Köln ... oder so ...

 

30.07.2006

Nachdem ich in Jasper einige Tage lang die Gegend wie jeder ordinäre Tourist unsicher gemacht habe (incl. Maligne Lake, ist wirklich eins der schönsten Möglichkeiten, sich vor lauter landschaftlicher Schönheit die Sehnerven zu verbiegen), hab ich mich dann auf den Weg gemacht: Icefield Parkway. Oh Mann. Oder Frau. Oder irgendwieoderwas.

Jedenfalls sitz ich 4 Tage später hier in Banff und frag mich allen Ernstes, was jetzt noch kommen kann. Na gut, ich wusste es ja, schließlich bin ich das Teil vor 13 Jahren schon mal gefahren, allerdings bei teilweise schlechtem Wetter, so dass ich die Hälfte damals nicht mitgekriegt habe. Es ist einfach unglaublich, was da auf 300 KM neben der Straße so an Felsbrocken und Wasserpfützen (Übersetzung: Gebirgszügen und Seen) herumliegt. Ganz ehrlich, mir sind teilweise vor lauter Freude und Bewunderung die Tränen gekommen. Aber irgendwie bin ich doch neugierig, wie der Rest von diesem Ländle aussieht, werd mich jetzt noch einen Tag mit den verträumten Landschaften rund um Banff befassen und mich dann wieder in die Niederungen begeben, also die Route östlich von Calgary weiterverfolgen. Wenigstens sind jetzt die größten Schwierigkeiten vorbei, ihr könnt euch sicher vorstellen, dass gerade die letzten Tage eine ziemlich heftige Herausforderung darstellten ...

Vor lauter schauen und Mund aufsperren muss ich nur aufpassen, dass ich nicht völlig unkommunikativ werde, bin gerade dabei, mich in den klassischen Einsiedler zu verwandeln. Jeden Tag der gleiche Rhythmus: Zelt abbauen, Radeln, staunen, radeln, Imbiss, radeln, Zelt aufbauen, hammerharter Tiefschlaf, Zelt abbauen .... Doch, wirklich, macht Laune, so sehr, dass ich mittlerweile auf andere Menschen etwas merkwürdig ... äh, reagiere.

Also, wenn ich -irgendwann- wieder zu Hause bin, gaaaanz langsam mit Reden beginnen!

 

07.08.2006

Nun hab ich mich ja vor einigen Tagen aus dem südlichen Ende der Kanadischen Rocky Mountains verabschiedet und war mir garnicht so sicher, ob ich nach diesem Highlight noch Spaß am Fahren habe. Habe ich! Eingeleitet wurde die Etappe durch die erste Bärensichtung, als ich so am Tag 1 nach Banff gemütlich auf der 93A vor mich hinzockele. Komme gerade über eine Kuppe, da sehe ich, wie so ein schwarzer Geselle, ganz nach Vorschrift, nach Prüfung der Straßenverhältnisse gemütlich auf die andere Seite schlendert und dann im Busch verschwindet. Leider ein bisschen schnell zum Fotografieren, aber der elegante Anblick hat sich auch so in mein Gedächtnis eingebrannt. Obwohl ... elegant ist eigentlich was anderes. Diese Typen haben ja nun mal einen Steiß, der noch fetter ist als meiner, und wenn so ein Kerl auf allen vieren über die Straße wankt, sieht das irgendwie ... unsymmetrisch aus. Vielleicht sollten sie es sich doch mal auf Dauer das mit dem aufrechten Gang überlegen.

Mit 148 KM war das jedenfalls mein bisher längster Tag, und am Ende stand nach 4 Wochen das erste Mal auch noch ein Hotel an statt des ruhigen Zeltplatzes, igitt. Am Abend des nächsten Tages fand ich mich dann in den Badlands wieder, so ne Art Einschnitt in die Hochebene Alberta. 200 m tiefer als der Rest des Landes liegt da ne herrlich bizarre Gegend rum, kann man nicht beschreiben, muss ich irgendwann mal zeigen.

Weiter gings, ausnahmsweise mal mit nem dicken Gegenwind und am Nachmittag kam auch noch ein heftiges Gewitter mit Hagel dabei. Da, ne Farm, mal eben schnell unterstellen! Wurde natürlich sofort ins Haus gezerrt und mit Kaffee und Gebäck versorgt ... der Abend war auch ein bisschen bizarr, erst komme ich in der Stadt an, wo Nickelback herkommt (jetzt weiß ich auch, warum der Leadsänger so ne gepeinigte Stimme hat), und auf dem Zeltplatz durfte ich wegen des Regens IN einer Kochhütte mein Zelt aufstellen - hey, Luxus pur!

Mittlerweile hab ich Alberta verlassen und bereite mich in dem Örtchen Kindersley auf die Eroberung des nordöstlichen Saketchewan vor, das heißt (noch) weniger Menschen und wieder mehr Natur, ein paar Indianerreservate dürften auch dabei sein. In etwas mehr als einer Woche hoffe ich dann in Flin Flon den Staat Manitoba zu erreichen. So allmählich fange ich schon mal an zu kalkulieren, ob das mit der Zeit auch so hinhaut, sieht bisher durchaus so aus. Tja, und sonst? Hab mich so richtig eingewöhnt, von Motivationsproblemen keine Spur und die körpereigenen Antriebsmechanismen sind auch einigermaßen online.

 

 17.08.2006

Bin durchaus plangerecht mittlerweile in Flin Flon, Manitoba, eingetroffen, und damit an einem durchaus bemerkenswerten "Eckpunkt" meiner Reise (die ich übrigens immer noch sehr genieße): Nördlichster Punkt, ziemlich genau Halbzeit und die Hälfte der Strecke hinter mir. So weit, so statistisch. Doch was sagt das schon aus ... Vor einigen Tagen bin ich ja, schon durch einige KM Weizenfelder zur Seite vorgeprägt, zu einer seeehr gradlinigen Route Richtung Nordosten aufgebrochen. Die 4 Tage bis Saskatoon waren dann auch tatsächlich von langen Etappen, viel Wind (leider durchaus von vorne) und sehr gleichmäßigen Ansichten geprägt, viel Gelegenheit, die Gedanken wandern zu lassen. Anschließend wandelte sich das Bild, je weiter es Richtung Norden ging, die Weizenfelder bzw. die Prärie wurden abgelöst durch eine herrlich bizarre Wald- und Sumpflandschaft, in die zahlreiche Seen eingesprenkelt waren. Absolut einsam mit einem Verkehrsaufkommen, das diesen Namen nicht verdient. Zwischen den einzelnen Versorgungspunkten - bessere Tankstellen - lagen oft mehr als 100 KM, also Kanada-Romantik pur!

Komisch, je länger ich fahre, desto neugieriger werde ich auf das Kommende. Jetzt führt der Weg wieder Richtung Süden, nach Winnipeg, etwa 750 KM entfernt. Das wird etwa bis Ende August dauern, werde hier in diesem niedlichen Örtchen erst mal 2 Tage die Beine ausstrecken - denn hier ist volle Versorgung angesagt, die nächsten 300 KM werden in dieser Beziehung wieder sehr dürftig werden. Auch muss ich mich dem Rad etwas widmen, der Hinterreifen zeigt schon erste Verschleißspuren (nach 3.000 KM darf er das auch) und so wird er aufs Vorderrad wandern und der vordere nach hinten. Ich hasse Schmutzarbeit!

 

 29.08.2006

Bin nach rund 1.000 KM seit dem letzten Mail in Winnipeg angekommen. Zuerst gabs noch jede Menge Natur, mit vielen Seen, Sümpfen und Wald zur Seite, lange Tagesetappen bis 160 KM und überraschende Übernachtungsgelegenheiten. Sehr unangenehm war ein Unfall vorgestern, der sich kurz vor Winnipeg ereignete, wahrscheinlichen, weil der Fahrer mich zu spät auf der rechten Seite der Fahrbahn wahrgenommen hat: Bremsen kreischen, Fahrer verliert dann die Kontrolle und anschließend den Bodenkontakt, der Wagen überschlägt sich 2x und bleibt auf der Seite liegen. Das Ehepaar da drin ist sichtlich geschockt und kann sich nicht aus eigener Kraft befreien, ich hatte schon Horrorvisionen von auslaufendem Benzin - aber es war nur Kühlerwasser. Die Polizei war jedenfalls ganz friedlich und hat mir eine gute Reise gewünscht ....

Mittlerweile bin ich also in der größten Stadt seit Vancouver gelandet, das Fahren hier ist schon ... gewöhnungsbedürftig, viel zu viel Verkehr. Aber Möglichkeiten sind natürlich groß, werde den morgigen Tag noch zum Bummeln dranhängen, dann gehts auf ins letzte Drittel, zu den großen Sehen und nach Ontario hinein. Hoffentlich ist der Verkehr nicht allzu stark, bisher hab ich es ja verstanden, dem größten Gewusel zu entgehen, aber bald gibt’s keine Ausweichmöglichkeiten mehr. Wird schon schiefgehen. 4.100 KM sinds bisher, schätze, so 6.400 werdens wohl insgesamt werden.

 

08.09.2006

Das mit dem Wetter hier ist einfach nicht zu glauben. Nach einer äußerst sonnigen Woche kam gestern Abend ein Regenschauer runter und für die nächsten Tage ist schon wieder Sonne pur angesagt, allerdings werden die Nächte jetzt deutlich kühler. Mir solls recht sein ... Habe jetzt den ersten der großen See, Lake Superior, erreicht, so 1.200 KM warens seit Winnipeg. Ein wahnsinnig schöner Park lag dazwischen, mal wieder ne Bärensichtung, Frauchen mit 3 Jungen spazierten so einfach über die Straße, und danach kam mal wieder für 500 KM nix als Bäume mit ein paar Seen zwischendrin, lange Tage, lange Touren.

Gestern Abend machte es kurz KNACK, und ein Schaltzug war hinüber. Aber mit ner Rohloff unterm Gesäß kann man trotzdem noch fahren, und zum Glück ist das hier ein Ort mit allem Drum und Dran, der neue Schaltzug ist bereits installiert, und so kann ich in Ruhe auf den Rest der Reise gucken. Tja, nur noch drei Wochen, dann muss ich so allmählich in Toronto eintrudeln. Aber ich weiß schon, wo die Zeit geblieben ist, werd ne ganze Weile brauchen, das Ganze zu verdauen ... Jetzt gehts erst mal an die große Seenrundfahrt, davon später.

 

18.09.2006

In der Zwischenzeit habe ich den nördlichen Teil des Lake Superior umrundet und bin in Sault St. Marie gelandet - eine herrliche Strecke mit Blick auf einen See, der wie ein Meer erscheint. Allerdings ganz schön hügelig wars, so dass ich nun mal wieder einen Tag Ruhe gebrauchen kann, zumal ich in den letzten 2 Tagen mit 2 Schweizern (Marke: Modellathlet) mitgefahren bin, die schon seit 5 Monaten unterwegs sind und mich dementsprechend gefordert haben. War ne schöne Abwechslung, aber ab morgen gehts wieder solo weiter: Es ist nicht mein Stil, mit einer einzigen Pause am Tag an allen Naturschönheiten vorbei zu strampeln. Aber mehr gequatscht hab ich halt als in den letzten beiden Monaten zusammen!

Tja, nun ist es nicht mehr weit bis Toronto, den kleinen Umweg über die Niagara-Fälle (äh, nicht wörtlich nehmen) werd ich wohl noch hinkriegen. Insgesamt scheints ein wunderbarer Ausklang meiner kleinen Radtour zu werden, das Wetter ist auch noch wohlgesonnen: Nach einen kleinen Kälteeinbruch und Frost in der Nacht klettert das Thermometer mal wieder auf über 20 Grad - in den Abendstunden....

Ach ja, und da ist dann noch der Indian Summer. Es leuchtet hier mit einer Pracht, unglaublich, so herrlich hatte ich es mir nicht vorgestellt. Schon allein deswegen werden die nächsten Tage bestimmt wunderbar.

 

02.10.2006

Touchdown!... Am Samstag, den 30.9.06 bei Km-Stand 6.850. Durch meine Gurkerei in der tatsächlich sehr schönen Stadt Toronto hab ich allerdings gerade KM 7.000 hinter mir gelassen, es ist eine Wonne, hier auf den zahllosen Radwegen längs des Lake Ontario entlangzufahren. Vorher habe ich noch den Abstecher nach Niagara realisiert. Obwohl ich das Teil vor 25 Jahren schon mal gesehen habe, hat es diesmal einen vielleicht noch größeren Eindruck bei mir hinterlassen. Insgesamt war die letzte Woche ein einziger Hochgenuss, von mir aus könnte es noch einige Monate so weitergehen. Allerdings sollte mich dabei ne Zeitschleife möglichst in den Sommer zurück befördern, allmählich zeigt der Herbst den erwarteten Biss, obwohl ... die letzten beiden Tage wieder sonnig waren, wenn auch recht frisch. Wenn ich allerdings an Schottland vor 2 Jahren denke, dagegen sind das hier noch geradezu sommerliche Temperaturen.

Tja, morgen geht der Flieger zurück in die Heimat, was soll ich sagen - besser konnte es nicht laufen, und ich brauche bestimmt noch einigen Abstand, um das Ganze richtig zu verarbeiten.

 

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